Bundesverwaltungsgericht

Beschluss

BVerwG 4 BN 11.02

VGH 9 N 1902/00

In der Normenkontrollsache



der .....,

Antragstellerin und Beschwerdeführerin,


gegen

die Stadt Offenbach, vertreten durch den Magistrat, Ziegelstraße 8, 63065 Offenbach,

Antrags- und Beschwerdegegnerin,



hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 6. März 2002
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Paetow und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Dr. Berkemann und Prof. Dr. Rojahn

beschlossen:

Die Beschwerde der Antragstellerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 12. November 2001 wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 20 000 € festgesetzt.



Gründe:

Die Beschwerde ist unbegründet. Das Vorbringen der Beschwerde ergibt nicht, dass die geltend gemachten Voraussetzungen des § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 3 VwGO erfüllt sind.

1. Das Normenkontrollgericht erachtet die Voraussetzung § 1 Abs. 10 BauNVO für gegeben. Die Beschwerde hält es - verkürzt gesagt - für grundsätzlich klärungsbedürftig, was im Sinne des § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO unter "überwiegender Bebauung" zu verstehen ist, und beanstandet eine unzureichende Begründung des vorinstanzlichen Gerichts.

a) Der von der Beschwerde hervorgehobene Klärungsbedarf besteht nicht. Zwar hat das Beschwerdegericht bislang eine Entscheidung zur Auslegung dessen, was als ein "überwiegend bebautes Gebiet" im Sinne des § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO zu verstehen ist, nicht getroffen. Das rechtfertigt jedoch noch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer revisiblen Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechtes ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandnen Rechtsprechung oder mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation und auf dieser Grundlage ohne weiteres beantworten lässt (z.B. BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 1997 - BVerwG 4 B 91.97 - Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 = NVwZ 1998, 172). So liegt es hier.

Der Begriff des „überwiegend bebauten Gebietes“ erlaubt ohne weiteres eine negative und eine positive Abgrenzung. Diese hat die Zielsetzung des § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO zugrunde zu legen. Die Vorschrift dient nach ihrem offenkundigen Zweck der Standortsicherung der aufgrund der nunmehrigen Planung nicht (mehr) gebietstypischen vorhandenen baulichen oder sonstigen Anlagen (vgl. Knaup/Stange, BauNVO, 8. Aufl., 1997, § 1 Rn. 119; Fickert/Fieseler, BauNVO, 9. Aufl., 1998, § 1 Rn. 136; Roeser, in: König/Roeser/Stock, BauNVO, 1999, § 1 Rn. 104). Die Festsetzungsmöglichkeit nach § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO verfolgt in Ausführung der gesetzlichen Vorgabe des § 1 Abs. 5 Satz 2 Nr. 4 BauGB im Wesentlichen das städtebauliche Anliegen, für eine erhöhte Planungs- und Investitionssicherheit zu sorgen und eine Erweiterung bereits vorhandener Nutzung zu ermöglichen. Das städtebauliche Anliegen kann nach Auffassung des Verordnungsgebers dadurch gefördert werden, dass die Gemeinde durch ihre Planung jene vorhandenen baulichen Anlagen an ihrem Standort planungsrechtlich sichert, die bei typisierender Betrachtungsweise nunmehr „an sich“ unzulässig sind (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 11. Mai 1999 - BVerwG 4 BN 15.99 - Buchholz 406.12 § 1 BauNVO Nr. 27 = NVwZ 1999,1338) und daher zwar kraft passiven Bestandsschutzes nicht beseitigt, jedoch aufgrund neuer Rechtslage nicht erweitert werden können. Die Gemeinde soll allerdings gehindert sein, diese Möglichkeit gleichsam wahllos für eine bauliche Anlage vorzusehen. Aus diesem Grunde wird sie in ihrer planerischen Möglichkeit durch die Voraussetzung begrenzt, dass sich ihre Planung auf ein „überwiegend bebautes Gebiet“ zu beziehen hat. Maßgebend ist mithin eine gesamträumliche Betrachtunq des beplanten Gebietes. Die sich daraus ergebende Zielsetzung des § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO wird vor allem dann erfüllt, wenn die individuelle Standortsicherung zugunsten der Erweiterung, Änderung, Nutzungsänderung oder Erneuerung einzelner baulicher oder sonstiger Anlagen nicht davon abhängig ist, dass das Plangebiet nicht nur „überwiegend“ sondern weitergehend „vorwiegend“ bebaut ist. Eine derartige Voraussetzung würde die Planungshoheit der Gemeinde zu stark begrenzen. Ob das Übergewicht der bereits vorhandenen Bebauung sich nach  der Mehrzahl der im Plangebiet belegenen und bebauten Grundstücke richtet und ob hierzu ein optischer Eindruck maßgebend zu sein hat (so Fickert/Fieseler, BauNVO, 9. Aufl. , Rn. 138), mag zweifelhaft sein. § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO stellt nicht entscheidend auf die einzelnen Grundstücke ab, sondern auf einen Gesamtzusammenhang.

Das Normenkontrollgericht hat seiner Entscheidung kein anderes Verständnis des § 1 Abs. 10 Satz 1 BauNVO zugrunde gelegt. Das ergeben seine Entscheidungsgründe in ihrer Gesamtheit.

b) Ob ein Gebiet "überwiegend bebaut" ist, ist Frage tatrichterlicher Feststellungen und damit eine Frage des Einzelfalles. Die von der Beschwerde hierzu geäußerte Kritik an der vorinstanzlichen Beurteilung enthält keine durchgreifende Verfahrensrüge im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Die Beschwerde macht geltend, das Erstgericht habe den Überzeugungsgrundsatz verletzt. Das Vorbringen ist unzulässig, da es nicht der Darlegungspflicht des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt. Das Vorbringen erschöpft sich mehr oder minder in einer Behauptung. Damit kann ein Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 1 oder 2 VwGO nicht hinreichend dargetan werden. Das Erstgericht hat offensichtlich seiner tatrichterlichen Beurteilung die konkrete Lage der Grundstücke und die im angegriffenen Bebauungsplan, auf den es gemäß § 117 Abs. 3 VwGO Bezug genommen hat, aufgenommene Bebauung zugrunde gelegt.

2. Das Berufungsgericht hat es für rechtmäßig angesehen, dass der angegriffene Bebauungsplan nach Maßgabe des § 1 Abs. 10 Satz 2 BauNVO eine Erweiterung der Geschossfläche auf 100 qm begrenzt. Das hiergegen gerichtete Beschwerdevorbringen rechtfertigt ebenfalls keine Zulassung der Revision. Eine Frage von grundsätzlicher Bedeutung liegt nicht vor. Die Frage, ob und welche Festsetzungen der Ortsgesetzgeber nach § 1 Abs. 10 Satz 2 BauNVO für angezeigt hält, ist einzelfallbezogen. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde dient nicht der Rechtskontrolle des vorinstanzlichen Verfahrens. Darauf zielt indes das Beschwerdevorbringen. Das gilt auch dann, wenn die Kritik in abstrahierender Weise formuliert wird. Die Beschwerde beanstandet im Kern allein die aus ihrer Sicht nicht sachgerechte Abwägung.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 14 Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1, § 73 Abs. 1 GKG.

Paetow                           Berkemann                          Rojahn


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