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Gericht: | VGH Kassel | | Entsch.-Datum: | 16.06.2004 |
Spruchkörper: | . | | Entsch.-Typ: | Urteil |
Aktenzeichen: | 5 UE 1701/02 | | Fundstelle(n): | Slg HessVGH |
Sachgebiet: | 630 | | Herkunftsland: | |
Normen: KAG § 11
VwGO § 113 Abs 2
EWS Der Stadt Hessisch-Lichtenau Vom 04.02.2002
2.AndS Vom 02.04.2003
Schlagworte:
* ABWASSERBESEITIGUNG
* BEITRAG
* BEITRAGSBEMESSUNG
* BEITRAGSERHEBUNG
* DENKMALSCHUTZ
* GESCHOßFLÄCHENZAHL
* INNENBEREICH
* NUTZUNGSMAß
* VERMUTUNG
* VERTEILUNGSMAßSTAB | * VORAUSLEISTUNG
* SCHWIERIGKEIT
* ERNSTHAFT
* UNBEPLANT
* BEITRAGSFESTSETZUNG
* ÄNDERUNG
* BAUBESCHRÄNKUNG
* ÖFFENTLICH-RECHTLICH
* ÖFFENTLICHE EINRICHTUNG |
Leitsatz:
1. Knüpft eine satzungsmäßige Verteilungsregelung im
Anschlussbeitragsrecht - ganz oder teilweise - an die zulässige Geschossfläche
des beitragspflichtigen Grundstücks an, so sind im Rahmen der Bestimmung
der beitragspflichtigen Geschossfläche öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen
- hier aus Denkmalschutz -, die die Ausschöpfung des satzungsrechtlich vorgesehenen
Maßes der zulässigen baulichen Nutzung hindern, zu berücksichtigen. Satzungsrechtlich
für den unbeplanten Innenbereich vorgesehene Höchstgeschossflächenzahlen
stellen insofern eine im Einzelfall widerlegbare Vermutung über die bauliche
Ausnutzbarkeit des Grundstücks dar.
2. Einzelfall der Anwendung des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO im Anschlussbeitragsrecht.
Text:T a t b e s t a n d :
Die beklagte
Stadt wendet sich mit ihrer Berufung gegen die in erster Instanz erfolgreiche
Klage des Klägers gegen seine Heranziehung zu Vorausleistungen auf einen
künftigen Abwasserbeitrag.
Der Kläger ist Eigentümer des in der Gemarkung Hessisch Lichtenau der
Beklagten liegenden Grundstücks Flur 12, Flurstück 502/2, A-Straße. Das Grundstück
ist Teil einer als Gesamtanlage unter Denkmalschutz stehenden Siedlung, die
in den Jahren 1907 bis etwa 1925 für die Arbeiter der benachbarten Schwerweberei
erbaut wurde (vgl. Denkmaltopografie Bundesrepublik Deutschland - Kulturdenkmäler
in Hessen, Band: Werra-Meißner-Kreis III - Altkreis Witzenhausen, Seite 401
ff.). Die tatsächliche bauliche Ausnutzung der einzelnen Grundstücke liegt
etwa bei einer Geschossflächenzahl von 0,3 bis 0,5.
Die Beklagte lässt aufgrund eines von ihr aufgestellten Generalentwässerungsplanes
im Zusammenhang mit der Erneuerung der Kläranlage Fürstenhagen für die in
deren Einzugsbereich liegenden und an diese bereits angeschlossenen Stadtteile
Fürstenhagen, Hessisch Lichtenau, Hirschhagen und Föhren das dort bestehende,
eine Vollkanalisation vermittelnde Leitungsnetz erneuern. Für die Stadtteile
Retterode und Friedrichsbrück, die bislang nur über eine Teilkanalisation
verfügten, verschafft sie den in diesen Stadtteilen liegenden Grundstücken
über den Anschluss an die vorgenannte Kläranlage erstmals eine Vollkanalisation,
die es erlaubt, sämtliche Abwässer unvorbehandelt dem Abwassernetz zuzuführen.
Mit Bescheid vom 12. April 1996 zog die Beklagte die seinerzeit von
dem Kläger und seinem Sohn gemeinsam betriebene Firma L. GbR für das oben
genannte Grundstück zu einer Vorausleistung auf einen künftigen Abwasserbeitrag
in Höhe von 709,50 DM heran. Dabei legte sie bei der Bestimmung der Geschossfläche
eine Geschossflächenzahl von 0,8 zugrunde. Die damalige Heranziehung beruhte
auf den Regelungen der Entwässerungssatzung der Beklagten vom 8. Dezember
1994.
Mit Schreiben vom 12. Mai 1996 legte der Kläger gegen den Heranziehungsbescheid
Widerspruch ein. Während des Widerspruchsverfahrens wurde die Firma L. aufgelöst.
Nach Übertragung der Miteigentumsanteile des Sohnes ist der Kläger seitdem
Alleineigentümer des Grundstücks.
Mit Widerspruchsbescheid vom 12. März 2001 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Vorausleistungsbescheid zurück.
Mit Schreiben vom 12. April 2001 - eingegangen beim Verwaltungsgericht Kassel am selben Tag - hat der Kläger Klage erhoben.
Zur Begründung hat er die seiner Ansicht nach fehlerhafte Beitragssatzregelung
in der zugrunde gelegten Entwässerungssatzung gerügt. Außerdem sei das Grundstück
als Bestandteil eines unter Denkmalschutz stehenden Ensembles durch denkmalschutzrechtliche
Vorgaben in seiner Ausnutzbarkeit beeinträchtigt und könne nicht mit der
zugrunde gelegten Geschossflächenzahl veranlagt werden.
Der Kläger hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 12. April 1996 in der Gestalt ihres Widerspruchsbescheides vom 12. März 2001 aufzuheben.
Die Beklagte hat beantragt,
Mit Urteil vom 14. Januar 2002 hat das Verwaltungsgericht den Vorausleistungsbescheid
der Beklagten in der Gestalt des Widerspruchsbescheides aufgehoben, weil
es die Beitragssatzregelung in § 10 Abs. 2 EWS in der Fassung der 7. Änderungssatzung
vom 14. September 1998 für die Erneuerung der Vollkanalisation in den Stadtteilen
Fürstenhagen, Hessisch Lichtenau, Hirschhagen und Föhren für unwirksam gehalten
hat.
Nach Erlass einer neuen Entwässerungssatzung vom 14. Februar 2002, die
nach ihrem durch die 1. Änderungssatzung vom 1. März 2002 geänderten Art.
3 Nr. 1 mit den diesbezüglichen Regelungen rückwirkend zum 1. Dezember 2001
in Kraft getreten war, hat der Senat auf Antrag der Beklagten mit Beschluss
vom 13. Juni 2002 die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts aufgrund
der neuen Rechtslage zugelassen. Nach § 1 EWS betreibt die Stadt nunmehr
zur Erfüllung ihrer Pflicht zur Abwasserbeseitigung sechs öffentliche Einrichtungen,
darunter als eine Einrichtung die der Abwasserreinigungsanlage Fürstenhagen
zugeordneten Anlagen (Kernstadt, Fürstenhagen, Föhren, Hirschhagen, Friedrichsbrück
und Retterode).
Mit der 2. Änderungssatzung vom 7. April 2003 hat die Beklagte § 10
Abs. 2 EWS erneut geändert und neue Beitragssätze hinsichtlich Grundstücksfläche
und Geschossfläche festgelegt. Dem liegt ein geändertes Bauprogramm zugrunde,
das nur noch die bis zum Jahre 2005 beabsichtigten und finanzierbaren Maßnahmen
an der Einrichtung einbezieht.
Zur Begründung ihrer Berufung trägt die Beklagte vor, sie verfüge nunmehr
über eine rechtswirksame Grundlage für den angefochtenen Heranziehungsbescheid.
In der neuen Satzung seien auf der Basis von nunmehr sechs öffentlichen Einrichtungen
ordnungsgemäß errechnete und untereinander stimmige Schaffens- und Ergänzungsbeiträge
festgelegt worden. Damit seien die Bedenken, auf die das erstinstanzliche
Gericht sein der Klage stattgebendes Urteil gestützt habe, ausgeräumt. Nach
Durchführung einer Anhörung im Stadtteil Hirschhagen und weiterer in der
Zwischenzeit gewonnener Erkenntnisse zur Nutzung und Nutzbarkeit der dortigen
Grundstücke sei die Beitragssatzkalkulation für die öffentliche Einrichtung
für die Ortsteile Kernstadt, Hirschhagen, Fürstenhagen, Föhren, Retterode
und Friedrichsbrück durch die 2. Änderungssatzung zur Entwässerungssatzung
angepasst worden. Zunächst habe die Stadtverordnetenversammlung ein modifiziertes
Bauprogramm beschlossen, auf dessen Grundlage die Abwasserbeiträge neu kalkuliert
worden seien. Die vom Kläger kritisierte Zugrundelegung einer Geschossflächenzahl
von 0,8 nach der satzungsrechtlichen Regelung für den unbeplanten Innenbereich
rechtfertige sich aus dem Grundsatz der Verwaltungspraktikabilität und der
Typengerechtigkeit. Danach reiche es aus, dass ein Satzungsgeber auf Regelfälle
eines Sachverhaltes und deren gleichartige Behandlung abstelle. Es sei nicht
erforderlich, dass auf alle Einzelfälle im Gemarkungsgebiet Rücksicht genommen
werde. Im Übrigen gehe aus dem von der Klägerseite vorgelegten Schreiben
des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen vom 16. Januar 1998 hervor, dass
eine Erweiterung des vorhandenen Bestandes "durch Anbau und Aufstockung in
geringem Maß möglich" sei. Rein vorsorglich werde auch darauf hingewiesen,
dass die fraglichen - dem Denkmalschutz unterliegenden - Grundstücke weit
weniger als 10 % der Gesamtfläche aller betroffenen Grundstücke ausmachten,
so dass unter dem Gesichtspunkt der Typengerechtigkeit auch eine "Ungleichbehandlung"
der fraglichen Grundstücke zulässig wäre. Die unter Denkmalschutz stehenden
Gebäude schlössen eine weitere bauliche Nutzung der Grundstücke nicht aus.
Es komme nur darauf an, dass das Gesamtbild und der Ausdruck der unter Denkmalschutz
stehenden Gebäude nicht nachhaltig verändert werde. Vor diesem Hintergrund
könnten selbstverständlich weitere Gebäude auf den Grundstücken errichtet
werden, die sich in dieses Gesamtbild einfügten.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Kassel vom 14. Januar 2002 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Neben den Grundlagen und Ergebnissen der Kalkulation der Beklagten,
die zu den in der Satzung vorgesehenen Beitragssätzen geführt hat, rügt der
Kläger im Wesentlichen die Festsetzung des Beitrags aufgrund einer Geschossflächenzahl
von 0,8. Diese sei nicht gerechtfertigt, da das streitbefangene Grundstück
Besonderheiten aufweise, die eine Herabsetzung der Geschossflächenzahl geböten.
Das Grundstück sei mit einem Gebäude bebaut, das dem Ensembleschutz unterliege.
Auf den Grundstücken der Siedlung befänden sich kleine Reihenhäuser (ehemalige
Arbeiterwohnungen), die eineinhalb- bis zweigeschossig seien. Die Grundstücke
seien im Verhältnis zur Bebauung sehr groß. Den ehemaligen Bewohnern habe
die Möglichkeit der Viehhaltung und des Obst- und Gemüseanbaus auf den Grundstücken
zur Eigenversorgung geboten werden sollen. Berücksichtige man die vorhandene
Bebauung im Verhältnis zur Grundstücksgröße, so ergäben sich Geschossflächenzahlen
von unter 0,5. Insofern verweist der Kläger auf eine von ihm gefertigte Aufstellung
der tatsächlichen Geschossflächenzahlen der Siedlungsgrundstücke. Des Weiteren
verweist er auf verschiedene Stellungnahmen des Landesamtes für Denkmalpflege
Hessen, die er vorgelegt hat. Insoweit wird auf die Gerichtsakten verwiesen.
Unter Berücksichtigung der tatsächlichen Geschossflächenzahlen, die weit
unter 0,5 lägen, werde ein Anbau und eine Aufstockung in geringem Maße auf
keinen Fall Geschossflächenzahlen ergeben, die über 0,5 lägen. Bei einer
Geschossflächenzahl von 0,8 müsse die derzeit vorhandene Wohnfläche auf das
zweieinhalb- bis dreifache erweitert werden. Insofern seien den Grundstücken
der Siedlung aufgrund der Vorgaben des Denkmalschutzes Nutzungsbeschränkungen
auferlegt, die eine bauliche Ausnutzung der Grundstücke bis zu der satzungsgemäßen
Geschossflächenzahl von 0,8 verböten. Die maximale Ausnutzung entspreche
allenfalls einer Geschossflächenzahl von 0,5. Es verbiete sich daher eine
schematische Anwendung der Satzungsregelung, vielmehr sei eine Einzelfallprüfung
geboten, die nach der Satzung der Beklagten auch zulässig sei. Eine Einzelfallprüfung
sei umso eher geboten, als die Grundstücke auch mit der Grundstücksfläche
veranlagt würden. Schon aufgrund der Grundstücksgröße werde er erheblich
belastet. Unzumutbar werde die Belastung bei einer zusätzlichen Belastung
mit einer Geschossflächenzahl von 0,8. Es sei zu berücksichtigen, dass in
der gesamten Arbeitersiedlung, die eine Vielzahl von Grundstücken umfasse,
die maximale Ausnutzbarkeit der Grundstücke die Geschossflächenzahl von 0,8
niemals erreichen könne, sondern allenfalls maximal eine Geschossflächenzahl
von 0,5 in Betracht komme.
Im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens, der
Gerichtsakten der übrigen Verfahren des Klägers bezüglich der übrigen Grundstücke
der Siedlung, sowie der dazugehörigen Verwaltungsvorgänge der Beklagten (jeweils
1 Hefter), sowie auf die Gerichtsakte des Verfahrens 5 UE 1734/02 verwiesen.
Diese sind insgesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die vom Senat mit Beschluss
vom 13. Juni 2002 (5 UZ 526/02) zugelassene Berufung der Beklagten ist auch
im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht begründet worden.
Die Berufung ist allerdings nur teilweise begründet.
Der Bescheid der Beklagten über die Heranziehung des Klägers zu einer
Vorausleistung auf einen Abwasserbeitrag vom 12. April 1996 in der Fassung
des Widerspruchsbescheides vom 12. März 2001 ist zum maßgeblichen Zeitpunkt
der gerichtlichen Entscheidung teilweise rechtswidrig und verletzt den Kläger
insoweit in seinen Rechten.
Das Verwaltungsgericht hat sein der Anfechtungsklage in vollem Umfang
stattgebendes Urteil auf die Unwirksamkeit der zum Zeitpunkt des Ergehens
seiner Entscheidung geltenden Beitragssatzregelung in § 10 Abs. 2 der Entwässerungssatzung
- EWS - der Beklagten in der Fassung der 7. Änderungssatzung vom 14. September
1998 für die Erneuerung der Vollkanalisation in den Stadtteilen Fürstenhagen,
Hessisch Lichtenau, Hirschhagen und Föhren gestützt. Die Beklagte hat nach
Ergehen des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 14. Januar 2002 mit ihrer
neuen Entwässerungssatzung vom 4. Februar 2002, die nach ihrem durch die
1. Änderungssatzung vom 1. März 2002 geänderten Art. 3 Nr. 1 mit den die
Beitragserhebung betreffenden Regelungen rückwirkend zum 1. Dezember 2001
in Kraft getreten ist, eine neue Rechtsgrundlage geschaffen. Diese hat sie
durch ihre 2. Änderungssatzung vom 2. April 2003 in den Beitragssätzen für
die Grundstücksfläche und Geschossfläche erneut geändert. Diese - derzeit
geltende - Fassung der Entwässerungssatzung ist der Entscheidung über die
Rechtmäßigkeit des streitigen Bescheides über die Heranziehung zu einer Vorausleistung
zugrunde zu legen. Der Senat hat bereits die Rechtmäßigkeit dieser nunmehr
geltenden Entwässerungssatzungsfassung der Beklagten in seinem Zulassungsbeschluss
(- 5 UZ 526/02 -, vgl. gleichlautenden Beschluss vom 13. Juni 2002 - 5 UZ
427/02 -, HSGZ 2002, 446 = KStZ 2003, 78) und durch sein Urteil vom 17. Dezember
2003 - 5 UE 1734/02 - (HSGZ 2004, 151 = UPR 2004, 155) festgestellt und in
diesem Zusammenhang die Einwände gegen die Kalkulation der Beitragssätze
überprüft. Die gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil gerichtete
Beschwerde des dortigen Klägers hat das Bundesverwaltungsgericht mit Beschluss
vom 6. April 2004 - 9 B 21.04 - (JURIS) zurückgewiesen, so dass das Urteil,
das die Rechtmäßigkeit der Satzung bestätigt, inzwischen rechtskräftig ist.
Hinsichtlich der Begründung für die Wirksamkeit der Satzung wird deshalb
auf dieses Urteil und den früheren Zulassungsbeschluss, die den Beteiligten
bekannt sind, Bezug genommen.
Der streitige Vorausleistungsbescheid der Beklagten ist jedoch nicht
in voller Höhe rechtmäßig, denn er berücksichtigt zu Unrecht nicht die denkmalschutzrechtlichen
Beschränkungen, denen das Grundstück des Klägers unterliegt, und die eine
Ausnutzung in der von der Beklagten zugrunde gelegten Höhe nach einer Geschossflächenzahl
von 0,8 verhindern.
Nach § 10 Abs. 1 erhebt die Stadt zur Deckung des Aufwands für die Schaffung,
Erweiterung und Erneuerung der Abwasseranlagen Beiträge, die nach der Grundstücksfläche
und der zulässigen Geschossfläche bemessen werden. Das Grundstück des Klägers
liegt im unbeplanten Innenbereich. Dort bestimmt sich nach § 14 Abs. 1 EWS
die Geschossfläche nach den dort für bestimmte Gebiete festgelegten Geschossflächenzahlen.
Für Wohn-, Misch-, Dorf- und Ferienhausgebiete ist dies bei zwei zulässigen
Vollgeschossen eine Geschossflächenzahl von 0,8. Diese hat die Beklagte bei
der Bemessung der Geschossfläche für das Grundstück des Klägers zugrunde
gelegt. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Erschließungsbeitragsrecht
sind jedoch öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen, die die Ausschöpfung
des für ein Grundstück vorgesehenen Maßes der zulässigen baulichen Nutzung
hindern, bei der Anwendung der satzungsmäßigen Verteilungsregelung zu berücksichtigen,
wenn das behinderte Nutzungsmaß eine Komponente des einschlägigen Verteilungsmaßstabes
darstellt (BVerwG, Urteil vom 3. Februar 1989 - 8 C 66.87 -, BVerwGE 81,
251, zum beplanten Gebiet und Urteil vom 10. Oktober 1995 - 8 C 12.94 -,
Buchholz 406.11 § 131 BauGB Nr. 100 = NVwZ 1996, 800, zum unbeplanten Innenbereich).
In diesem Fall wirkt sich nämlich die Baubeschränkung für den satzungsmäßigen
Verteilungsmaßstab aus. Da die Satzung in § 10 Abs. 1 EWS ausdrücklich an
die zulässige Geschossfläche anknüpft, ist dieses Merkmal "zulässig" dahin
auszulegen, dass darunter im Einzelfall das Nutzungsmaß zu verstehen ist,
das unter Berücksichtung auch öffentlich-rechtlicher Baubeschränkungen auf
dem jeweiligen erschlossenen Grundstück verwirklicht werden darf (BVerwG,
a.a.O.). Daraus kann sich auch bei Anschlussbeiträgen ein "Verminderungszwang"
ergeben. Für öffentlich-rechtliche Baubeschränkungen im beplanten Gebiet
hat dies der Senat bereits in früherer Zeit vertreten (vgl. Beschluss vom
24. September 1996 - 5 TG 3919/95 -, HSGZ 1997, 171 = GemHH 1998, 238). Angesichts
der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zur Berücksichtigung
von Baubeschränkungen im Erschließungsbeitragsrecht in unbeplanten Gebieten
müssen diese Grundsätze aber auch bei der Bestimmung der Geschossflächenzahlen
in unbeplanten Gebieten im Anschlussbeitragsrecht gelten. Nach dieser Rechtsprechung
(Urteil vom 10. Oktober 1995, a.a.O.) weist das Bundesverwaltungsgericht
ausdrücklich darauf hin, dass die von ihm für Grundstücke in beplanten Gebieten
entwickelten Grundsätze zur Berücksichtigung öffentlich-rechtlicher Baubeschränkung
auch für Grundstücke im unbeplanten Innenbereich gelten müssen, so dass Beschränkungen
des erreichbaren Nutzungsmaßes auch dort nicht einfach unberücksichtigt bleiben
können (vgl. auch: Driehaus [Hrsg.], Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2004,
§ 8 Rdnr. 880a). Leitet man die Pflicht zur Berücksichtigung öffentlich-rechtlicher
Baubeschränkungen aus dem satzungsrechtlichen Begriff der zulässigen Geschossfläche
ab, lässt sich in der Tat eine unterschiedliche Berücksichtigung solcher
Beschränkungen im beplanten und unbeplanten Innenbereich unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten
kaum vertreten. Die von § 14 Abs. 1 EWS der Beklagten für den unbeplanten
Innenbereich in Anlehnung an den nicht mehr geltenden § 17 Abs. 1 BauNVO
in der Fassung vom 15. September 1977 (BGBl. I S. 1763) für die Bestimmung
der Geschossfläche im unbeplanten Innenbereich vorgesehenen Höchstgeschossflächenzahlen
sind insofern nur als eine - im Einzelfall widerlegbare - Vermutungsregelung
über die zulässige bauliche Ausnutzbarkeit des Grundstücks anzusehen, vergleichbar
etwa einer ebenfalls im Einzelfall widerlegbaren satzungsrechtlichen Tiefenbegrenzungsregelung
zur Abgrenzung von unbeplantem Innen- und Außenbereich (vgl. etwa das "obiter
dictum" im Beschluss des Senats vom 28. September 1999 - 5 TG 189/98 -; Driehaus
[Hrsg], Kommunalabgabenrecht, Stand: März 2004, § 8 Rdnr. 880a). Wird diese
Vermutung der Erreichbarkeit der satzungsrechtlich vorausgesetzten baulichen
Ausnutzbarkeit eines Grundstücks im Einzelfall widerlegt - etwa weil eine
öffentlich-rechtliche Baubeschränkung die Ausnutzbarkeit einschränkt -, muss
die zulässige - d. h. die unter Berücksichtigung der Beschränkung erreichbare
- Geschossfläche zugrunde gelegt werden. Dies hat die Beklagte auch selbst
im Rahmen der Bewertung der baulichen Ausnutzbarkeit der Grundstücke im Ortsteil
Hirschhagen, bei denen kriegsbedingte tatsächliche Hindernisse die bauliche
Ausnutzbarkeit beschränken, erkannt und berücksichtigt (vgl. Urteil des Senats
vom 17. Dezember 2003, a.a.O.).
Die Entwässerungssatzung der Beklagten sieht eine Bemessung des Abwasserbeitrags
nach der Grundstücksfläche und der zulässigen Geschossfläche vor, wobei der
Ergänzungsbeitrag für die Kernstadt, in der das Grundstück des Klägers liegt,
nach § 10 Abs. 2 b EWS pro Quadratmeter Grundstücksfläche 1,43 € und für
die Geschossfläche pro Quadratmeter 1,96 € beträgt. Insofern ist bei der
Bestimmung der Geschossfläche eine öffentlich-rechtliche Baubeschränkung,
die die Ausnutzung der nach der Satzung zugrunde gelegten Geschossflächenzahl
verhindert, im Rahmen des "Verminderungszwangs" zu berücksichtigen.
Das betroffene Grundstück des Klägers ist Teil einer als Gesamtanlage
unter Denkmalschutz stehenden Siedlung, die in den Jahren 1907 bis etwa 1925
für die Arbeiter der benachbarten Schwerweberei erbaut wurde (vgl. Denkmaltopografie
Bundesrepublik Deutschland - Kulturdenkmäler in Hessen, Band: Werra-Meißner-Kreis
III - Altkreis Witzenhausen, Seite 401 ff.).
Nach § 16 Abs. 1 Hessisches Denkmalschutzgesetz in der Fassung vom 5.
September 1986 (GVBl. I S. 270, zuletzt geändert durch Gesetz vom 31. Oktober
2001, GVBl. I S. 434) bedarf der Genehmigung der Denkmalschutzbehörde, wer
ein Kulturdenkmal oder Teile davon zerstören oder beseitigen oder umgestalten
oder instandsetzen will. Nach § 16 Abs. 2 DenkmalschutzG bedarf der Genehmigung
ferner, wer in der Umgebung eines unbeweglichen Kulturdenkmals Anlagen errichten,
verändern oder beseitigen will, wenn sich dies auf den Bestand oder das Erscheinungsbild
des Kulturdenkmales auswirken kann. Eine Genehmigung soll nach § 16 Abs.
3 DenkmalschutzG nur erteilt werden, wenn überwiegende Gründe des Gemeinwohls
dem nicht entgegenstehen. Eine Maßnahme zu einer Gesamtanlage nach § 2 Abs.
2 Nr. 1 DenkmalschutzG ist zu genehmigen, wenn sie deren historisches Erscheinungsbild
nur unerheblich oder nur vorübergehend beeinträchtigt.
Die derzeitige tatsächliche Ausnutzung der einzelnen Grundstücke der
Gesamtanlage liegt etwa bei einer Geschossflächenzahl von 0,3 bis 0,5. Das
im vorliegenden Verfahren streitige Grundstück hat nach Auskunft des Klägers
eine tatsächlich vorhandene Geschossflächenzahl von 0,35. Nach den schriftlichen
Stellungnahmen des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen, die insoweit auch
von den Vertretern der Kreisbaubehörde und Unteren Denkmalschutzbehörde des
Werra-Meißner-Kreises im Erörterungstermin vor dem Berichterstatter bestätigt
worden sind, ist durch Anbauten im Charakter der Siedlung eine Aufstockung
der Geschossfläche auf den einzelnen Grundstücken in kleinerem Umfang möglich.
Ein Erreichen der nach § 14 Abs. 1 EWS von der Beklagten zugrunde gelegten
Geschossflächenzahl von 0,8 angesichts der denkmalschutzrechtlichen Beschränkungen
ist jedoch nicht denkbar. Insofern gebietet die aus dem Denkmalschutzrecht
folgende öffentlich-rechtliche Baubeschränkung eine Verminderung der satzungsrechtlich
im Rahmen der Geschossfläche zugrunde gelegten zulässigen Höchstnutzung von
0,8.
Eine Bestimmung der unter Berücksichtigung der denkmalschutzrechtlichen
Beschränkungen im Hinblick auf die Gesamtanlage auf dem streitigen Grundstück
höchstzulässigen Geschossfläche durch den Senat lassen die bisherigen Feststellungen
im Verfahren nicht zu. Er könnte dies allein aufgrund einer aufwändigen Bestimmung
durch Sachverständigengutachten ermitteln. Da die Beklagte insofern jedoch
die tatsächlich nutzbare Geschossfläche - gegebenenfalls unter Mithilfe des
Kreisbauamtes - wesentlich leichter bestimmen kann, wie sie es etwa bezüglich
der gesamten Grundstücke des Ortsteils Hirschhagen getan hat, macht der Senat
von der ihm durch § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO eingeräumten Möglichkeit Gebrauch,
die Beitragsfestsetzung zu ändern und den Umfang der Änderung so zu bestimmen,
dass die Beklagte den Betrag aufgrund der Entscheidung errechnen kann. Die
Voraussetzungen für eine solche Entscheidung liegen vor. Der Klageantrag,
den angefochtenen Bescheid insgesamt aufzuheben, umfasst das Begehren einer
Änderung des Beitragsbescheides im Sinne des § 113 Abs. 2 Satz 1 VwGO ebenso,
wie der Berufungsantrag der Beklagten auf vollständige Abweisung der Anfechtungsklage
(vgl. OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. April 1997 - 3 A 3508/92 -,
NVwZ-RR 1998, 584 = HSGZ 1998, 114). Die Berechnung des Abwasserbeitrags
für das Grundstücks des Klägers erfordert auch einen nicht unerheblichen
Aufwand im Sinne des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO, da - wie oben dargelegt -
die Ermittlung der unter Berücksichtigung der denkmalschutzrechtlichen Beschränkungen
zulässigen Geschossfläche nur aufgrund eines umfangreichen Sachverständigengutachtens
für den Senat zu ermitteln ist. Die Möglichkeit der eigenen Errechnung der
Vorausleistungshöhe durch den Senat, die nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts
eine Anwendung der Bestimmung des § 113 Abs. 2 Satz 2 VwGO ausschließt (vgl.
BVerwG, Urteil vom 18. Januar 1991 - 8 C 14.89 -, BVerwGE 87, 289; ähnlich
Urteil des Senats vom 5. Dezember 1996 - 5 UE 3700/95 -, GemHH 1999, 38)
besteht nicht, da die gerichtliche Festsetzung insofern auf ernsthafte Schwierigkeiten
stößt.
Der Bescheid über die Heranziehung zu einer Vorausleistung der Beklagten
erweist sich aber auch nicht dadurch als im Ergebnis rechtmäßig, dass die
Beklagte bei der Erhebung der Vorausleistung nur von einem Bemessungsfaktor
von 1,50 DM pro Quadratmeter Grundstücksfläche und Quadratmeter Geschossfläche
ausgegangen ist. Zwar ergibt sich bei Zugrundelegung des derzeit gültigen
satzungsmäßigen Beitragssatzes für einen Ergänzungsbeitrag von 1,63 € pro
Quadratmeter Grundstücksfläche und 1,74 € pro Quadratmeter Geschossfläche
auch bei Zugrundelegung einer niedrigeren Geschossflächenzahl für das Grundstück
des Klägers ein deutlich höherer endgültiger Abwasserbeitrag, als er von
der Beklagten mit dem Vorausleistungsbescheid gefordert wird. Auch kann die
Beklagte nach § 11 Abs. 10 Kommunalabgabengesetz - KAG - Vorausleistungen
bis zur Höhe der voraussichtlichen Beitragsschuld verlangen. Beschließt jedoch
eine Gemeinde, von den Beitragspflichtigen im Rahmen der Vorausleistungserhebung
nur einen Teilbeitragssatz in einer bestimmten Höhe zu erheben, so ist sie
nach den Grundsätzen der Abgabengerechtigkeit daran gebunden und kann sich
nicht im Einzelfall zum Ausgleich anderer Fehler bei der Berechnung der Vorausleistung
auf die Möglichkeit berufen, sie hätte unter Ausnutzung des vollen zu erwartenden
Beitragssatzes auch eine höhere Vorausleistung erheben können.
Die Beklagte wird demnach unter Berücksichtigung der denkmalschutzrechtlichen
Beschränkungen die höchstzulässige Nutzung des klägerischen Grundstücks neu
zu bestimmen und aufgrund dessen die Vorausleistung neu zu berechnen haben.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO nach dem Verhältnis
des jeweiligen Obsiegens und Unterliegens, d.h. auf der Grundlage einer Abschätzung
des Ergebnisses der dem Beklagten aufgegebenen Berechnungen. Dabei geht der
Senat davon aus, dass nach den derzeitigen Erkenntnissen eine höhere Ausnutzung
als sie einer Geschossflächenzahl von 0,5 entspricht, nicht zulässig erscheint.
Da sich andererseits ungefähr die Hälfte des Vorausleistungsbetrages aufgrund
der Grundstücksfläche errechnet und das behinderte Nutzungsmaß insoweit keine
Komponente des Verteilungsmaßstabs ist, trägt der Kläger die eine Hälfte
der Gesamtkosten aus diesem Grunde und von der anderen Hälfte einen Anteil
von 5/8. Insgesamt trägt der Kläger deshalb einen Kostenanteil von 13/16,
die Beklagte von 3/16.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit hinsichtlich
der Kosten ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 132 Abs. 2 VwGO).
R E C H T S M I T T E L B E L E H R U N G
Die
Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde innerhalb eines Monats
nach Zustellung dieser Entscheidung angefochten werden. Die Beschwerde ist
beim
Hessischen Verwaltungsgerichtshof
Brüder-Grimm-Platz 1
34117 Kassel
durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule
im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt einzulegen;
juristische Personen des öffentlichen Rechts und Behörden können sich auch
durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen
im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte
mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen
kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten
lassen. Die Beschwerde muss die Entscheidung bezeichnen, die angefochten
werden soll.
Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung dieser
Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist bei dem Hessischen Verwaltungsgerichtshof
einzureichen. In der Begründung muss entweder
- die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache dargelegt werden
oder
- die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats
der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts
bezeichnet werden, wenn geltend gemacht wird, von ihr werde in der in
dem vorliegenden Verfahren ergangenen Entscheidung abgewichen und die
Entscheidung beruhe auf dieser Abweichung,
oder
- ein Verfahrensmangel bezeichnet werden, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Dr. Lohmann Schneider Dr. Apell
Gerichtsbarkeit: | 2 - Verwaltungsgerichte | | Bundesland: | Hessen |
Gerichtstyp: | OVG/VGH | | | |
Veröffentl.: | | | | |
Dokument-Nr.: | 46 317 | | | |